Laudatio für Prof. Markus Johannes Langer
anläßlich der Verleihung des Grades eines Doktors der Theologie ehrenhalber durch die Universität Rostock
Magnifizenzen, Frau Prorektorin, Spektabilitäten, sehr verehrte Damen und Herren,
mir ist die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, Ihnen den heute zu Ehrenden persönlich vorzustellen und seine Verdienste zu würdigen, auf deren Grundlage er mit dem Ehrendoktorat der Theologischen Fakultät der hiesigen Universität ausgezeichnet wird. Ich tue dies gern und werde mir erlauben, dabei nicht nur die Person selbst, sondern auch ihr Umfeld und die spezifischen Bedingungen in Ihrer schönen Stadt in den Blick zu nehmen.
Markus Johannes Langer wurde 1971 in Erlangen geboren. Frühzeitig zeigte sich seine herausragende musikalische Begabung, die in optimaler Weise gefördert und entwickelt wurde. Das führte dazu, dass er bereits vor dem Abitur als Gaststudent an der Münchener Musikhochschule im Hauptfach Orgel bei der international renommierten Organistin Prof. Hedwig Bilgram ausgebildet werden konnte. Von 1992 bis 1997 folgte ein reguläres Studium der Evangelischen Kirchenmusik am gleichen Institut, das mit dem A-Examen abschloss.
Parallel zu einer Tätigkeit als Kantor an der Laudatekirche München und als Leiter des Münchner Konzertchores absolvierte Markus Langer bis 1999 ein Aufbaustudium im Fach Chordirigieren bei Prof. Michael Gläser an der Münchner Musikhochschule, das mit dem Meisterklassendiplom abschloss. Auf solche Weise optimal ausgebildet, stand Markus Langer nun bereit, eine verantwortliche, hochrangige Tätigkeit als Kirchenmusiker aufzunehmen.
Reihte sich schon bis hierher Erfolg an Erfolg, was durch Förderpreise, Stipendien und Auszeichnungen dokumentiert ist, so setzte sich diese Entwicklung nahtlos fort, als Markus Johannes Langer ab 1. Februar 2000 zum Nachfolger von KMD Prof. Hartwig Eschenburg an die St. Johannis-Kirche in Rostock berufen wurde und damit die Leitung einer der größten und leistungsfähigsten Kantoreien Norddeutschlands übertragen bekam. Von Anfang an war damit eine Lehrtätigkeit in den Fächern Chorleitung und Oratorieninterpretation an der Hochschule für Musik und Theater Rostock verbunden. 2008 wurde Herr Langer dort zum Honorarprofessor ernannt.
Ich halte an dieser Stelle inne, um gleichsam einen Schritt zurückzutreten und den Gesichtskreis über die Person des heute zu Ehrenden hinaus zu weiten. Zu der Freude über den gelungenen Ausbildungsweg und die frühen Erfolge tritt die Dankbarkeit dafür, dass in der Zeit und an den Orten, an denen Markus Langer lebte, hoch begabte junge Menschen gewissermaßen selbstverständlich eine optimale Ausbildung erhielten. Diejenigen unter uns, die über 40 Jahre alt sind und in diesem Teil Deutschlands gelebt haben, werden sich erinnern, dass dies keineswegs selbstverständlich ist. Wo die Ausbildungsmöglichkeiten Bekenntnisse und Verhaltensweisen zur Voraussetzung hatten, zu denen sich viele aus Gewissensgründen nicht verstehen konnten, ist die Freude über eine solch reibungslose Entwicklung ohne die Notwendigkeit fauler Kompromisse besonders groß: Gott sei Dank!
Kehren wir zu Markus Johannes Langer zurück.
Mit der Übernahme des Kantorats in Rostock sah er sich nicht nur großen Herausforderungen ausgesetzt, sondern fand auch Gelegenheit, das Gelernte vielfältig anzuwenden und sich dabei zu entfalten. Die Kantorei der St. Johannis-Kirche Rostock umfasst mehr als 400 Sängerinnen und Sänger, die in den verschiedenen Gruppierungen miteinander musizieren. Ich erspare Ihnen und mir die Aufzählung der Chöre und Ensembles, die zur St. Johannis-Kantorei gehören – sie sind Ihnen ohnehin wohlbekannt. Besonders wichtig erscheint mir neben den erbrachten künstlerischen Leistungen die Tatsache, dass dort viele, insbesondere junge Menschen an die Musik herangeführt und in ihr ausgebildet werden. Zur St. Johannis-Kantorei gehören über 200 Kinder und Jugendliche. Jeder Kundige weiß, dass sie dort einen Schatz für ihr ganzes Leben erschlossen bekommen, der weit über die unmittelbare musikalische Leistung hinausgeht. Beim Musizieren wird soziales Verhalten trainiert und werden Menschen zur Toleranz erzogen. Wer miteinander musizieren will, muss als erstes lernen, auf die anderen zu hören. Im Ensemble erfolgreich zu singen und zu spielen, ist immer die Leistung der Gemeinschaft, nie nur des Einzelnen, der gleichwohl Wesentliches beitragen und Verantwortung übernehmen muss. Wird ein Raum geschaffen, in dem junge Menschen in diesem Sinne geformt werden, kann das nicht hoch genug geschätzt werden.
Außerdem ist die St. Johannis-Kantorei ein herausragender Faktor im musikalischen Leben Rostocks. Markus Johannes Langer gelang es, das Erbe seines Vorgängers Hartwig Eschenburg zu bewahren und weiter zu entwickeln.
Vor unseren Augen steht nun ein künstlerisch und pädagogisch erfolgreicher Kirchenmusiker, der die in ihn gesetzten Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt hat.
Die Verleihung des theologischen Ehrendoktorats an einen Kirchenmusiker ist jedoch ein durchaus singuläres Ereignis, für dessen Zustandekommen weitere Bedingungen erfüllt sein müssen.
Die erste betrifft wiederum den Laureaten.
Markus Langer ist ein Kirchenmusiker, der die Musik nicht nur als Schmuck und festlichen Rahmen, als eine der schönen Seiten des Daseins, vielleicht gar als Selbstzweck, versteht, sondern sie als wichtige Form der Bewältigung des Lebens begreift.
Aus einem Pfarrhaus stammend, war Markus Langer die theologische Dimension der Kirchenmusik von klein auf vertraut. Gottesdienste und Konzerte sind für ihn wichtige Bestandteile der gesellschaftlichen Realität; die musizierten Werke leisten einen wesentlichen Beitrag zur geistigen und geistlichen Auseinandersetzung mit den Problemen der Gegenwart.
Daraus ergeben sich drei Konsequenzen:
- Die Notwendigkeit, neben dem überkommenen musikalischen Erbe Neue Kirchenmusik zu pflegen. Das lässt sich im Schaffen Markus Langers vielfältig nachweisen, u. a. durch die Uraufführungen im Rahmen der Universitätsgottesdienste, die diesen einen besonderen Akzent verleihen und deren Ausstrahlung vergrößern.
- Hohe Aktualität der Planungen und Programme. Als Beispiel sei hier ein Konzert genannt, in dem Kurrende und Choralchor mit Solisten und Orchester aus Anlass des 60. Jahrestags der Staatsgründung Israels Werke zeitgenössischer israelischer Komponisten musizierten.
- Die Interdisziplinarität der Projekte. Wer in der Mitte der Gesellschaft agiert, sucht und findet zwangsläufig Verbindungen zur Wissenschaft und zu anderen Künsten. In aller Kürze sei hier das Projekt „CREDO“ im Jahre 2011 erwähnt. Im Zusammenwirken der St. Johannis-Kantorei mit dem Institut für Text und Kultur der Theologischen Fakultät sowie der Kunsthalle Rostock entstand eine mehrere Wochen und Veranstaltungen umfassende Veranstaltungskonzeption, die – beginnend mit dem Reformationsfest – das Thema des Glaubens klar, konkret und von verschiedenen Seiten her in den Blick der Öffentlichkeit rückte. Rückgrat des Projekts waren drei Konzerte unter Leitung von Markus Langer, von denen die beiden ersten jeweils eine Uraufführung brachten: „Abraham – Zweifel und Glauben“ von Michael Baumgartl sowie „Credo. Fünf Stimmen nach Johannes“ von Karl Scharnweber, mit einem Text von Eckart Reinmuth. Vorträge von Joachim Gauck, Eckart Reinmuth, Philipp Stoellger und Hartmut Möller gehörten zum Gesamtprogramm, das mit der Aufführung von Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe glanzvoll abschloss. Zu den genannten Komponenten kam eine Ausstellung zum Thema „Credo“ in der Rostocker Kunsthalle hinzu, die Beiträge von Künstlern wie Baselitz, Graubner, Richter und Uecker zum Thema zeigte.
Die Verbindung von Musik und bildender Kunst mit theologischer Reflexion ist ein äußerst fruchtbares und ausstrahlendes Konzept. Themen des Glaubens und Lebens werden so in vielfältiger Weise reflektiert und gewissermaßen multimedial in das Zentrum öffentlicher Wahrnehmung gerückt. Zusammen mit den anderen Akteuren kommt Markus Johannes Langer ein wesentliches Verdienst bei der Planung und Durchführung zu. Weitere Projekte ähnlicher Art folgten; sie trugen die Titel JAHRESTAGE (2012) sowie IN PRINCIPIO (2013).
Die andere notwendige Voraussetzung für das heutige Ereignis ist eine Theologische Fakultät, die sich mit großer Offenheit der Welt von heute stellt und ihren Beitrag zum aktuellen Diskurs leistet. Das Vorhandensein des schon erwähnten Instituts für Text und Kultur sowie des Instituts für Bildtheorie legt davon Zeugnis ab.
Mit der Verleihung der höchsten akademischen Auszeichnung an einen Kirchenmusiker bekräftigt die Theologische Fakultät die Wertschätzung der Musik, der schon Martin Luther den höchsten Rang nach der Theologie beigemessen hat. Musik im Gottesdienst und im Konzert kann zum Mittel der Verkündigung des Wortes Gottes werden und erreicht dann zahlreiche Menschen, an denen das gesprochene Wort vorüberschallt. Musik entfaltet neben der Diakonie die stärkste Außenwirkung der Kirche.
Für die Vermittlung des Glaubens eignen ihr besondere Möglichkeiten.
Dass ein Mensch zum Glauben an den auferstandenen Herrn Jesus Christus kommt, ist immer ein unverfügbares Ereignis, bewirkt vom Heiligen Geist. Aber es gibt Situationen mit größeren und solche mit geringeren Chancen.
Der Bibeltext an sich vermag das nur in wenigen Fällen. Ganz anders ist es beim aus dem Glauben heraus gesprochenen, deutenden Wort. Stammt es – in öffentlicher Predigt oder in persönlichem Zuspruch – von einer glaubwürdigen Person, erreicht es in der Regel das Gegenüber.
Gleiche oder ähnliche Chancen hat die Kommunikation mit Hilfe von bildender Kunst und Musik.
Musik eröffnet einen seelischen Raum. In diesem Raum sind viele Dinge gleichzeitig gegenwärtig: Töne und mit ihnen verbundene Emotionen, Vertrautes und Fremdes, Texte als Ganzes oder in Fragmenten.
Musik spricht uns ganzheitlich (in Leib, Seele und Geist) an, weil sie selbst ein ganzheitliches Geschehen ist. Texte, die wir gesungen haben, haften als „eiserne Ration“ tief in unserem Innern. Im Singen wird Glauben gelebt und Glauben gelernt.
Musik kann gleichzeitig in mehreren Schichten zu uns sprechen.
Geformte Musik (insbesondere mit einem starken Text) ist wie ein Mantel, der den Interpreten einschließlich aller seiner möglichen Zweifel zu umgeben, aufzunehmen und zu bergen vermag. Wer musiziert, stellt sich selbst ebenso wie die Hörer unter das Kunstwerk, das er zu Gehör bringt. Und jeder Musiker weiß, dass Musik – auch die selbst improvisierte oder komponierte – mehr ist als das Gemachte und Gewollte. Auch hier ist das Entscheidende, das sich beim Musizieren und Musikhören in Menschenherzen ereignen kann, immer ein Geschenk.
Was zu brutal und zu grausam, aber vielleicht auch zu zart, zu keimhaft, zu unsicher und uneindeutig ist, um in Worten ausgesagt zu werden, lässt sich durch Musik ausdrücken. Wo die Fähigkeit der Formulierung im Wort endet, stehen der Musik noch ungeahnte Räume zur Verfügung.
Musik kann jubeln und tanzen. Mindestens gleiche emotionale Dichte erreicht sie jedoch in der Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten des Lebens, mit Not, Krankheit, Ungerechtigkeit, Schuld, Sünde, Tod.
Hier wachsen ihr auch die größten Aufgaben zu. Wo Worte im Halse stecken bleiben, kann die Musik Menschen auffangen, bergen und trösten.
Die Musik ermöglicht die Annäherung an Texte, die man allein nicht vollständig unterschreiben möchte. In ihrer Ambivalenz zwischen Zitat und Aussage, zwischen historisch-kultureller und geistlicher Rezeption gewährt sie genügend Offenheit und Weite, dass sich der skeptische und dennoch nach Vergewisserung suchende moderne Mensch in ihrem Raum aufgehoben fühlen kann, ohne zu meinen, intellektuellen Verrat zu begehen.
Hier erwächst der Musik des Glaubens eine besondere Aufgabe in unserer Zeit: Menschen, die noch nichts von Jesus Christus erfahren haben oder der Kirche ablehnend gegenüber stehen, werden oft von Musik erreicht und geraten so in Berührung mit den Inhalten des Glaubens. So hat die Musik gerade heute eine große missionarische Wirkung. Diese Bedeutung wird in der Zukunft noch wachsen.
Musik bildet eine Brücke in die Welt. Sie zu schlagen, zu stabilisieren und immer wieder neu zu beschreiten, ist Bestandteil des Dienstes, der der Kirche in der Welt aufgetragen ist.
In einer Zeit schwindender finanzieller Möglichkeiten zeigt gerade die Erfolgsgeschichte der Kirchenmusik in Rostock, dass die Kirche sich nicht hinter die Kirchenmauern zurückziehen darf, andererseits aber ihr Eigenes unbedingt bewahren muss und nicht zu einem beliebigen, verwechselbaren Anbieter auf dem Markt der Möglichkeiten verkommen darf. Viele Menschen erwarten von uns, dass die Grundfragen des Lebens im Lichte des Evangeliums gültig zur Sprache gebracht werden; sie erhoffen sich davon Trost und Wegweisung.
Die Theologie tut gut daran, die Musik als Dialogpartnerin anzuerkennen. Aufgrund der ihr eigenen Möglichkeit, verschiedene Aussagen parallel zu formulieren und nebeneinander stehen zu lassen, kann sie Glaubensgewissheit und Zweifel integrieren und beiden glaubwürdigen Ausdruck verleihen.
Mit der heutigen Ehrenpromotion zeigt die Theologische Fakultät der Universität Rostock (ich zitiere aus der Beschlussvorlage des Akademischen Senats),
- dass sie ihr Profil an einer kulturell wie kulturwissenschaftlich offenen Theologie orientiert
- dass sie die Kooperation mit regionalen Kulturträgern für essentiell hält – theologische Arbeit ist auf Öffentlichkeit, öffentliche Reflexion und Resonanz angewiesen
- dass sie hinsichtlich ihrer Ausbildungsaufgaben auf musische, religionsästhetische und musikalische Komponenten nicht verzichten kann.
Im Laufe der Jahre hat sich eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen der Theologischen Fakultät und Markus Langer entwickelt. Von den Großprojekten wie CREDO war schon die Rede, ebenso von der Mitwirkung der St. Johannis-Kantorei bei den Universitätsgottesdiensten. (Die Zusammenarbeit ist dabei keineswegs einseitig, denn in der Kantorei wirken Studierende, Absolventen, Fakultäts- und Universitätsangehörige mit.)
Schließlich nimmt Markus Johannes Langer Lehraufgaben an der Theologischen Fakultät wahr; hier sei nur die Lehrveranstaltung „Bibel im Oratorium“ genannt. Prof. Klie und er verfassten gemeinsam eine Einführung in das liturgische Singen, die in diesem Jahr erscheinen wird.
Dass die Kirchenmusik ein wesentliches Element kirchlichen Lebens darstellt, ist in Rostock längst Allgemeingut.
Bereits in der Zeit vor 1989, in der ein öffentlicher, breiter theologischer und religionsästhetischer Diskurs ausgeschlossen war, hat die St. Johannis-Kantorei ihr Singen und Musizieren immer als einen zentralen Dienst zur Verkündigung des Evangeliums verstanden. Jede Anbiederung an das damalige System war ihr fremd; die Konsequenzen aus dieser Haltung hat sie erhobenen Hauptes getragen. Dass der Rostocker Motettenchor trotzdem hohe musikalische Wertschätzung auch außerhalb des kirchlichen Bereichs genoss, spricht für die Qualität des Geleisteten. Was damals geschah, bildet die unverzichtbare Grundlage, auf der sich das geschilderte Wachstum und die Wirkung in breite Schichten der Gesellschaft hinein entwickeln konnten. Deshalb darf an dieser Stelle das Wirken von KMD Prof. Hartwig Eschenburg nicht unerwähnt bleiben. Ohne die von ihm gelegten Grundlagen kann man sich das jetzige Profil der St. Johannis-Kantorei nicht vorstellen. Wenn heute international bekannte Musiker und Ensembles gern zu Konzerten nach Rostock kommen, so fußt dieser Erfolg auf der geistlichen und künstlerischen Basis, die zu Zeiten geschaffen und entwickelt wurde, in denen an eine Einladung solcher Persönlichkeiten nicht zu denken war. In die Dankbarkeit für das Entstandene und Geleistete, die uns an diesem Tage bewegt, muss dies eingeschlossen sein.
Die heutige Verleihung des Ehrendoktorats an Prof. Markus Johannes Langer würdigt das, was der Laureat in den über 14 Jahren seines Wirkens in Rostock für die Verbindung von Theologie und Musik geleistet hat. Sie drückt zugleich Hoffnung auf künftige erfolgreiche Zusammenarbeit und die Erwartung weiterer geistig-kultureller Höhepunkte in der Zukunft aus. Mit den Glückwünschen an den heute Geehrten verbinden sich die herzlichsten Segenswünsche für viele gute, kommende Projekte im Dienst der gemeinsamen Sache, allen Menschen die Botschaft der Versöhnung mit Gott auszurichten.